Ist Dehnen nach dem Laufen überhaupt sinnvoll?
Fragt man zehn verschiedene Laufexperten, wird man
wahrscheinlich zehn unterschiedliche Antworten auf die Frage bekommen, ob das
Dehnen nach dem Laufen dazugehört und wenn ja, in welcher Form. Die Frage wird
sehr kontrovers diskutiert. Die Befürworter von Dehnen weisen darauf hin, dass
das Risiko für Laufverletzungen sinkt, die Muskeln, Sehnen und Bänder elastisch
bleiben und die allgemeine Gelenkbeweglichkeit verbessert wird.
Die Gegner von Dehnen und Stretchen verweisen hingegen
darauf, dass der menschliche Körper das Dehnen nicht benötigt, weil die Jäger
der Steinzeit vermutlich auch nicht vor oder nach jedem Lauf ihre Muskeln
ausgiebig gedehnt haben. Ihrer Meinung nach führt Dehnen eher zu Verletzungen.
Was für das Dehnen nach dem Laufen spricht
Heute sieht der Alltag für viele Menschen so aus, dass sie
den überwiegenden Teil des Tages sitzend verbringen. Dabei wird meistens keine
vorbildliche Sitzhaltung eingehalten. Ein Rundrücken mit verkrampfter,
eingefallener Schulterpartie ist leider eher die Regel. Die Hüfte ist dabei permanent
gebeugt. Durch das lange Halten solcher ungünstigen Positionen verkürzt sich
auf Dauer die Muskulatur, sie verliert an Länge und Flexibilität.
Die Verkürzungen äußern sich oft in Schmerzen,
Bewegungseinschränkungen und Fehlhaltungen. Die meisten Büroangestellten können
davon leider ein Lied singen! Um solchen muskulären Dysbalancen vorzubeugen
eignen sich Dehnübungen, denn sie machen Deine Muskelpartien wieder flexibler.
Statisch oder dynamisch dehnen?
Wer Dehnen sagt, meint in der Regel Stretching, was
statischem Dehnen entspricht. Dabei wird dieselbe Position für 20 bis 30
Sekunden oder länger gehalten. Statisches Dehnen senkt den Muskeltonus und
sorgt für Entspannung und zum mentalen Runterkommen. Es eignet sich daher
hervorragend als Cool-Down nach einem Lauf.
Vor einem Lauf solltest Du Dich hingegen nicht statisch
dehnen, da es eben den Muskeltonus senkt. So kannst Du Dich leichter verletzen
und auch nicht Deine übliche Leistung bringen.
Dynamisches Dehnen steht mehr für Mobilisation mit sanften
Bewegungen. Die Muskeln werden dabei locker bewegt und erwärmt. Beim
dynamischen Dehnen versucht man, die Endposition durch leichtes Federn zu
erweitern. Solche Mobilisationsübungen eignen sich deshalb am besten als
Warm-Up vor einem anstrengenden Lauf, um die Muskeln darauf vorzubereiten und
die Beweglichkeit zu steigern.
Du solltest Dich also vor einem Lauf mit dynamischen Mobilitätsübungen aufwärmen und nach einem Lauf mit statischen Dehnübungen entspannen!
Wie dehnt man sich richtig statisch nach dem Lauf? Das Cool-Down
Um für das Cool-Down Deine Muskelgruppen richtig statisch zu dehnen und sie nicht unabsichtlich zu verletzen solltest Du einige Regeln befolgen. Dehnen sollte immer vorsichtig erfolgen. Höre auf Deinen Körper, er zeigt Dir Deine Grenzen!
- Statisches Dehnen und Stretching
eignet sich nach einem leichten Lauftraining. Der Lauf sollte Deinen
Körper nicht zu stark belastet haben, sonst kannst Du Dir Verletzungen
zuziehen.
- Halte die Dehnübungen jeweils für
20 bis 30 Sekunden.
- Du kannst die Dehnübungen jeweils
2-3x pro Seite wiederholen, um den maximalen Effekt zu erzielen.
- Höre auf Deinen Körper und dehne Dich
nur bis zur Schmerzgrenze. Wenn Du Dich zu stark dehnst reagiert der Muskel mit
einer Gegenspannung. So kann sich der Muskel nicht entspannen, sondern Du
erreichst das Gegenteil und bist hinterher noch verspannter.
- Achte auf korrekte Ausführung der Dehnübungen. Du kannst dir entweder einen Spiegel zu Hilfe nehmen, oder Du fragst einen erfahrenen Lauftrainer um Rat.
- Du kannst Dich zwar bei leichtem
Muskelkater dehnen, bei starkem Muskelkater solltest Du aber unbedingt darauf
verzichten. Durch das Dehnen in den Muskelkater tust Du Dir keinen Gefallen,
weil die Reparaturvorgänge in den strapazierten Muskeln gestört werden und die
Regenerationszeit so noch verlängert wird.
Die 6 besten statischen Dehnübungen nach dem Lauf zum Cool-Down
Dehnübung 1: Innerer Oberschenkel (Adduktoren)
Stelle Dich breitbeinig hin. Die Füße stehen parallel zueinander. Lege Deine Hände auf die Hüften und beuge ein Knie zur Seite, während Du das andere Bein gestreckt hältst. Achte dabei darauf, dass Dein Knie nicht über die Fußspitze hinausragt. Du solltest jetzt eine deutliche Dehnung im inneren Oberschenkel des gestreckten Beins spüren. Halte die Position für 30 Sekunden und wechsle dann das Bein.
Dehnübung 2: Vorderer Oberschenkel
Stelle Dich hüftbreit hin. Jetzt hebst Du den linken Fuß nach hinten an, umfasst ihn mit der linken Hand und ziehst ihn Richtung Gesäß. Wichtig ist hierbei, die Knie immer zusammen zu halten und die Hüfte etwas nach vorne zu schieben. Du solltest die angenehme Dehnung jetzt im vorderen Oberschenkel spüren. Lasse den Oberkörper die ganze Zeit aufrecht und fixiere am besten einen festen Punkt, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Dehnübung 3: Hinterer Oberschenkel und Rücken
Um den hinteren Oberschenkel und den Rückenstrecker zu dehnen, stelle Dich aufrecht und hüftbreit hin. Gehe nun mit gestreckten Beinen und geradem Rücken langsam in die Vorbeuge und versuche mit den Händen den Boden zu erreichen. Wichtig bei dieser Übung ist, dass der Rücken gerade bleibt und die Beugung aus der Hüfte kommt. Fortgeschrittene können zusätzlich vorher die Hände hinter dem Rücken falten. Dabei gehst du in die Vorbeuge, während Deine Arme hinter dem Rücken gestreckt bleiben. Die Übung dehnt nicht nur Deine hinteren Oberschenkel, sondern entlastet nebenbei angenehm auch Rücken- und Schultermuskulatur!
Dehnübung 4: Hinterer Oberschenkel
Alternativ oder zusätzlich zur letzten Übung kannst Du deinen hinteren Oberschenkel gut mit Hilfe eines Geländers oder einer Bande dehnen, die ungefähr 1,20m hoch ist. Auch ein Stuhl ist ein gutes Hilfsmittel. Stelle Dich gerade hin und lege die Ferse des einen Beins auf das Geländer. Deine Beine befinden sich jetzt im 90° Winkel. Greife nun mit der gleichen oder mit beiden Händen zu Deiner Fußspitze und ziehe Dich nach vorne. Die Übung dehnt die hinteren Oberschenkelmuskeln des oberen Beins intensiv. Gleichzeitig kannst Du eine Dehnung der Wade im Standbein und im gesamten Rücken spüren. Wichtig ist, dass Deine Beine die ganze Zeit gestreckt bleiben. Halte die Position für 30 Sekunden und wechsle dann das Bein.
Dehnübung 5: Hüftbeuger und Oberschenkelvorderseite
Um den Becken- und Hüftbereich beweglich zu halten und Hüftfehlstellungen vorzubeugen, kannst Du mit dieser Übung Deinen Hüftbeuger dehnen. Stelle dich dafür in einen weiten Ausfallschritt. Stütze Dich mit beiden Händen auf dem vorderen Bein ab und beuge es in einen 90° Winkel. Halte Deinen Oberkörper aufrecht und achte darauf, nicht ins Hohlkreuz zu gehen. Schiebe Dein Becken jetzt nach vorne, bis Du einen Dehnreiz im Hüftbereich spürst. Halte die Position und wechsle die Seiten.
Dehnübung 6: Schultermuskulatur
Stelle Dich wieder aufrecht hin und hebe die Arme über den Kopf. Jetzt ziehst Du in gerader Haltung mit der linken Hand den rechten Ellenbogen hinter den Kopf. Achte darauf, den Kopf gerade zu halten und ihn nicht zur Seite zu biegen. Du solltest jetzt eine Dehnungsreiz in der rechten Schulter merken. Halte die Position wie immer 30 Sekunden und wechsle dann die Seite.
Wann solltest Du Dich lieber nicht dehnen?
- Verzichte auf das statische Dehnen nach dem Laufen, wenn Du
eine sehr anstrengende Laufeinheit hinter Dir hast. Dein Körper ist nun sowieso
schon gestresst und durch ausgiebiges Dehnen könntest Du die Regenerationszeit
verlängern.
- Wenn Du nur eine eher kurze, lockere Laufeinheit vor Dir
hast, kannst Du auf das Warm-Up verzichten. Laufe am Anfang einfach locker und
steigere Dich nach 10 Minuten.
- Wenn Du beschwerdefrei bist und keine muskulären Verkürzungen hast, dann kommst Du gut ohne Dehnen der Muskulatur aus und kannst auf Dehnübungen beim Laufen verzichten. Das Verletzungsrisiko lässt sich nach heutigem Wissensstand auch durch regelmäßiges Dehnen nicht senken. Allerdings kannst Du Dich natürlich nach dem Lauf trotzdem statisch dehnen, wenn Dir die entspannende Wirkung gefällt.
- Bei Überbeweglichkeiten solltest Du auf das Dehnen vor und nach dem Laufen verzichten. Du könntest Deinem Körper damit sogar schaden. Halte Dich lieber an Stabilisationsübungen.
Wir hoffen, dass wir Dir mit unserem Guide helfen konnten. Wenn gerade angefangen hast und allgemeine Tipps zum Laufen suchst, guck doch mal in den Artikel "Laufen für Anfänger" und "Diese 7 Fehler beim Joggen solltest du vermeiden". Einen Ratgeber für Winterkleidung findest du hier: "Laufkleidung im Winter".
Bilder: TAO; Andrea Piacquadio von Pexels